Bericht Gaillard: Keine nachhaltige Finanzpolitik

Endlich eine Finanzpolitik für die Menschen, nicht fürs Schaufenster und die Ideologie: Der mit Spannung erwartete Expertenbericht der Technokratengruppe Gaillard wurde heute veröffentlicht. Nicht überraschend enthält er in erster Linie Ausgabenkürzungen, was in vielen Fällen zu Ausgaben- verschiebungen – entweder zu den Kantonen oder den Menschen – führt. Alternativen auf der Einnahmeseite wurde nur ein kleiner Abschnitt des über 160-seitigen Berichts gewidmet. Die
darin erwähnten Vorschläge haben teilweise Potential und müssen dringend vertieft und die Mehreinnahmen beziffert werden. Dies geschah bislang nicht. Die dringende Modernisierung der Schuldenbremse wird als Möglichkeit explizit verworfen.


Die Basis dieser Massnahmen ist die ideologische Überzeugung, dass der Bund ein Ausgabeproblem hat – und besonders die Armeeaufstockung mit Kürzungen und Verschiebungen in anderen Bereichen berappt werden soll. Doch bei den allermeisten Kürzungen verschwinden diese Kosten nicht. Sie werden in die Zukunft verlagert (Investitionslücken) für die kommenden Generationen), auf die Kantone, die Unternehmen – oder jeden Einzelnen von uns.

Diese Finanzpolitik ist definitiv – gerade mit all den aktuellen Herausforderungen – keine sehr zukunftsversprechende. In Zeiten wie diesen müssen wir investieren. Dies entbindet uns nicht mit dem Geld sorgsam umzugehen.
Trotz der grundsätzlichen Kritik am Auftrag für diesen Expertenbericht und vielen der daraus resultierenden Massnahmen gibt es einige, bei welchen es sich lohnt, diese vertieft zu prüfen. Hier eine erste Auslegeordnung – ohne Garantie auf Vollständigkeit.

Weshalb gibt es den Expertenbericht Gaillard?
Am 8. März 2024 verabschiedete der Bundesrat das Mandat zur Aufgaben- und Subventionsüberprüfung. Heute wurde der sogenannte Expertenbericht der Öffentlichkeit präsentiert. Die Arbeiten des ernannten Grüppchens – 4 Männer, 1 Frau – kosteten 200’000 Franken, dabei nicht eingerechnet die Zudienstarbeiten aus den Departementen.
Der Auftrag war bereits im März klar, der Bundeshaushalt soll strukturell entlastet werden, und zwar in erster Linie ausgabenseitig. Weitergehende finanzpolitische Reflexionen wie die dringend notwendige Anpassung unserer Schön-Wetter-Schuldenbremse, oder auch Massnahmen auf der Einnahmeseite zu prüfen, waren nicht, respektive nur sehr beschränkt vorgesehen. Der neuste Finanzplan zeigt im Vergleich zum Legislaturfinanzplan 2025-27 auch, dass der sogenannte „Bereinigungsbedarf“ deutlich geringer ausfällt als damals noch prognostiziert.  Dies ist auf unterschiedliche Faktoren zurück zu führen. Der Berechnungsfehler in der AHV wird mittelfristig einen finanziellen Spielraum von bis zu 800 Millionen jährlich schaffen. Und auch wenn das Wirtschaftswachstum wohl bis Ende Jahr noch tiefer als erwartet ausfallen wird (Hochrechnung EFD, August 2024), fallen die Einnahmen (Ausgenommen Sondereffekt SNB Zusatzausschüttung) nicht zurück und steigen kontinuierlich.

Kurzsichtige gefährlicher Leistungsabbau! Von vielem, aber nicht allem, einfach weniger
Die unter dem Deckmantel von Effizienzsteigerung deklarierten Massnahmen sind trügerisch. Wir brauchen mehr Investitionen in die Zukunft, nicht weniger. Die Expertengruppe nennt bei den einzelnen Massnahmen jeweils auch die Auswirkungen auf die Kantone, fast überall steht: Keine. Das ist schlicht falsch. In mehr als der Hälfte werden wohl die Kantone in die Bresche springen müssen, oder aber die Kosten werden auf die Menschen abgewälzt. Das schwächt die bereits sinkende Kaufkraft weiter. Gewisse Massnahmen sind so kurzsichtig, dass ich gar nicht glaube, dass diese von sogenannten Expert:innen vorgeschlagen wurden…  

Hier eine Auswahl von aus meiner Sicht nicht zukunftsorientierten Massnahmen:

WENIGER KAUFKRAFT: In der Massnahmengruppe 3 (Kapitel 3.2.3) soll der Bundesanteil für die AHV kein fixer Anteil der Kosten mehr sein (derzeit 20.2%, in Diskussion in Zusammenhang mit der Revision rund um die 13. AHV-Rente 19.5%) sondern entlang den Mehrwertsteuereinnahmen wachsen. Zu Beginn ist dies kein Abbau der Bundesfinanzierung unseres wichtigsten Sozialwerkes, aber da die Ausgaben der AHV aufgrund der demographischen Entwicklung stärker wachsen als die Mehrwertsteuereinnahmen, wird dies mittelfristig zu einer Unterfinanzierung des AHV-Fonds führen. Was zur Konsequenz hat, dass dann entweder die Konsumsteuer erhöht oder Leistungen abgebaut werden müssen– wie beispielsweise eine Rentenaltererhöhung. Ich finde dies störend – denn gerade erst hat die Bevölkerung klar ja gesagt zur Stärkung der AHV; Sich mit 74.7% gegen eine Rentenaltererhöhung auf 67 und deutlich für die 13. AHV ausgesprochen. Nur wenige Monate danach mit einer mittelfristigen Abbauvorlage zu kommen, entspricht, nebst der inhaltlichen Kritik, auch nicht meinem demokratischen Verständnis.
WENIGER GLEICHSTELLUNG: Die familienexterne Kinderbetreuung in der Schweiz ist ungenügend – die kantonalen Unterschiede sind riesig. Der Bund möchte rund 800 Millionen nicht in diese Zukunft investieren (Kapitel 5.2.2), obwohl es sich wirklich lohnen würde – aus Gleichstellungsaspekten, aus Perspektiven des Fachkräftemangels, bezüglich Steuereinnahmen und noch vielem mehr. Wenn er sich in diesem Bereich aus der Verantwortung stiehlt und die Kantone in die Verantwortung nimmt, dann muss er garantieren, dass alle Familien in allen Kantonen einen bezahlbaren Kita-Platz erhalten. Als gutes Modell kann nach Basel-Stadt geschaut werden, seit 1 Monat gilt dort das neue Gesetz! Eine kleine – aber bedeutungsvolle Kürzung bereitet mir ebenfalls Sorgen. Unter den kleinen Subventionen (Kapitel 5.2.4) sollen die Ausbildungsbeiträge für die Opferhilfe gestrichen werden (-300’000 Franken pro Jahr). Das geht nicht.
WENIGER KILMASCHUTZ: So sollen die klimapolitischen Subventionen für die Klimapolitik drastisch (400 Mio. jährlich ab 2030) reduziert werden. Doch diese Investitionen benötigen wir dringend für die Zukunft der kommenden Generationen. Wenn wir sie nicht tätigen, leiden entweder die kommenden Generationen und wir hinterlassen ihnen diese Schuld, oder die Kosten werden auf die Individuen (und ja, auch die Unternehmen!) respektive Kantone abgeschoben. Besonders stossend ist es, dass diese einschneidende Massnahme dem Volkswillen widerspricht. Dieses hatte das CO2-Gesetz, welches auch den Ansatz der Lenkungsabgabe beinhaltet abgelehnt, und das Klimaschutzgesetz angenommen.
WENIGER ÖFFENTLICHER VERKEHR: Unter dem Motto «Substanzerhalt statt Ausbau» sollen jährlich 10% (200 Millionen) bei der Bahninfrastruktur gespart werden (via LSVA) – und dies wiederkehrend. Wenn einmalig weniger Einlagen getätigt werden, ist dies – sofern es die Fondstandhöhe zulässt, noch kein Leistungsabbau. Wenn aber dieser Fonds dauerhaft weniger Geld erhält, dann leidet die umweltfreundliche Infrastruktur. Das darf nicht sein.
WENIGER BILDUNG: Bildung ist der wichtigste Rohstoff der Schweiz. Es ist unverständlich, dass der Bund sparen will und die Kosten durch höhere Studiengebühren berappt werden sollen. Die damit vermeintlich eingesparten 200 Millionen (Kapitel 5.2.2) werden umgewälzt auf die Studierenden. Dies schadet der Bildung, aber auch der Chancengleichheit. Des Weiteren will er zahlreiche Beiträge an Hochschulen kürzen. Wenn er dies macht, müssen die Kantone unter sich eine bessere Abgeltung finden. Es kann nicht sein, dass die Universitätskantone für die Nichtuniversitätskantone noch höhere Quersubventionierungen leisten.
WENIGER FORSCHUNG: Nebst der Bildung, ist auch die Forschung ein wichtiger Pfeiler für eine langfristig nachhaltige Entwicklung unserer Wirtschaft. Mit einer 10%igen Kürzung bei InnoSuisse und des Schweizer Nationalfonds (SNF) wird der Wirtschaft der Nährboden entzogen, und spart der Bundeskasse 170 Millionen (Kapitel 5.2.5). Doch dieses Geld wäre besser in der Forschung investiert und würde dann in Form von Steuereinnahmen um ein Mehrfaches wieder zurückfliessen.
WENIGER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT: Die Entwicklungszusammenarbeit, ein Akt der Solidarität aber auch ein Mittel zur Friedensförderung, kommt unter einen brutalen Sparhammer. Die IZA-Ausgaben sollen bis 2030 (Kapitel 5.2.5) eingefroren werden, zusätzlich sollen einzelne Subventionen (Kapitel 5.2.4) gekürzt werden. Unter dem Motto «Priorisierung» wird hier die Hilfe an ganze Länder aufgegeben werden müssen. Ein Trauerspiel. Die Entwicklungszusammenarbeitsquote von 0.43% des BIPs (ohne Asylkosten) ist heute schon viel zu tief – auch im internationalen Vergleich. Die Schweiz stiehlt sich damit aus ihrer Verantwortung.
WENIGER STADT: Ja, ich wohne in einem urbanen Zentrum. Und liebe es. Doch an Herausforderungen fehlt es nicht: Zentrumsleistungen, welche erbracht werden, Wohnungsknappheit, etc. Angesichts der ländlich zusammengesetzten Expertengruppe wundert es mich nicht, dass vorgeschlagen wird, den soziodemographischen Lastenausgleich um 140 Millionen (Kapitel 5.2.2) zu kürzen. Dieser Ausgleich ist aber – genauso wie der geografisch-topographische (welcher im Übrigen nicht angegriffen wird) – wichtig für das Verständnis und den Zusammenhalt der Schweiz.
WENIGER DEMOKRATIE: Mit dem Verzicht auf indirekte Presseförderung (-50 Mio. pro Jahr) werden Tages- und Wochenzeitungen weniger attraktiv – entweder leidet die Medienbranche oder aber diese Kosten werden telquel auf die regelmässigen Medienkonsument:innen abgewälzt. In Zeiten, in denen Medienhäuser ihre Redaktionen ausdünnen, ist dies verheerend. Auch die SRG soll geschwächt werden, in dem die Beiträge für das Auslandangebot (für Auslandschweizer:innen) gestrichen werden sollen (-19 Mio.).
WENIGER WOHNRAUM: Alle müssen und dürfen wohnen. Das Parlament höhlt derzeit den Mieterschutz aus und nun soll auch noch der Fonds de roulement, welcher zur Förderung von preisgünstigem Wohnraum dient, gekürzt werden (Kapitel 5.2.4). Diese Kosten verschwinden nicht, sondern werden von den Mietenden in Form von höheren Mieten bezahlt!

Von wegen «Opfersymmetrie»: Keine Effizienzgewinne in der Verteidigung und Sicherheit gefordert
Die Verteidigungsausgaben – obwohl ihre Erhöhung ein zentraler Grund ist, weshalb der Bundesrat eine Aufgabenüberprüfung in Auftrag gab – werden im Expertenbericht Gaillard gar nicht seriös geprüft. Nicht einmal effizienzsteigernde Massnahmen werden gefordert, auch die millionenschweren externen Aufträge seitens Armee – ungeprüft. Dabei hat sogar das Parlament mehr Effizienz in der Armee gefordert. So beantragt die Finanzkommission, dass die Armee 500 Mio. pro Jahr Effizienzgewinne hervorbringt (und damit einen Teil der Erhöhung für die Aufrüstung mitfinanziert). Dass hier einfach weggeschaut wird und nur in einer Nebenvariante ein reduziertes Ausgabenwachstum der Armee thematisiert wird, ist unverständlich. Ebenso entdeckte ich keine nennenswerten Massnahmen in anderen Sicherheitsbereichen wie Fedpol, BAZG und NDB. Ebenfalls weitgehendst verschont bleibt der Sektor Landwirtschaft…

Das Wort Opfersymmetrie ist eine leere Floskel. Es ist klar eine politische und ideologische Haltung im Bericht erkennbar.

Gute Vorschläge auf der Einnahmeseite, aber kaum bezifferbar

Die Expertengruppe wirkt nicht gerade enthusiastisch, was die Einnahmeseite anbelangt, schlägt aber wichtige Einnahmequellen (Kapitel 6.1) vor. So sei – zu Recht – auf Steuervergünstigungen zu verzichten, welche «steuersystematisch nicht begründet, aus ausserfiskalischen Gründen nur schwer zurechtfertigen sind oder von denen negative Auswirkungen auf andere Zielsetzungen der Bundespolitik wie beispielsweise die Umwelt ausgehen». Dies sind im Besonderen die steuerliche Begünstigung von Kapitalbezügen im Rahmen der Altersvorsorge, oder auch Vergünstigungen bei der Mineralölsteuer, der Schwerverkehrsabgabe oder der Spielbankenabgabe werden genannt. Bei der Mehrwertsteuer plädiert sie für einen Einheitssatz. Als dritte Möglichkeit wird empfohlen die Besteuerung der Grundstückgewinne im Privatbesitz auf nationaler Ebene zu prüfen.  Doch beziffert werden die Mehreinnahmemöglichkeiten leider nicht. Noch im Juni 2024 hat der Nationalrat meine Motion ablehnt, eine Aktualisierung der Einnahmeausfälle aus Steuervergünstigungen vorzunehmen.

Prüfenswerte Massnahmen im Ausgabenbereich

Nationalstrassen-und Agglomerationsverkerhrsfonds (NAF): Bislang hat das Parlament bei den BIF-Einlagen (Bahninfrastrukturfonds) gespart. Es war sozusagen ein «Puffer», wenn die Schuldenbremse keine Ausgaben mehr zuliess. Zugleich ist es aber nicht möglich, beim NAF temporär weitere Nichteinlagen zu beschliessen – auch wenn diese Gelder nicht benötigt werden würden. Denn die Zweckbindungen für den NAF lassen gemäss Bundesverfassung Art. 86 nur sehr wenig Handlungsspielraum zu. Es ist verständlich, dass angestrebt werden soll, dass die Zweckbindung flexibilisiert wird. Mit den anstrebten Einsparungen (200 Mio. beim BIF, 117 Mio. beim NAF) geht die Expertengruppe jedoch eher weit. Wenn die Fonds genug hoch dotiert sind und es keinen Investitionsbedarf gibt, ist es aber durchaus denkbar, auf gewisse Einlagen zu verzichten und diese Gelder woanders zu investieren. (Kapitel 5.2.2)
Integration von Asylsuchenden stärken: Durch eine Neugestaltung und Aufgabenteilung Bund-Kanton der Bundesintegrationsbeiträge (neu fix 4 Jahre) kann durch die Integration von Asylsuchenden bei zeitgleichem grösserem Engagement durch die Kantone (dank finanziellen Anreizen für die Kantone) ein Mehrwert für die Menschen geschaffen werden. Es muss aber gesetzlich verankert sein, dass diese Aufgabenentflechtung (-250 Mio. 2027 für den Bund) nicht zu einem Abbau zu Lasten der Integration führt.
Abgeltung polizeiliche Massnahmen des BAZG an Flughäfen: Es ist nachvollziehbar und richtig, dass diese Kosten durch die Kantone (22 Mio.) getragen werden.

Und nun wie weiter?
Dieser Expertenbericht schlägt Massnahmen vor, einige davon sollen in einem Entlastungspaket Eingang finden. Da für die meisten Massnahmen Gesetzesanpassungen notwendig sind, werden diese im ordentlichen parlamentarischen Prozess behandelt. Zuvor steht aber die Budgetdebatte 2025 an – ich bin gespannt darauf.