Digitalisierung im Gesundheitswesen

Ich sprach mit HIN über die Digitalisierung und Mindeststandards in Primärsystemen… Hier könnt ihr das ganze Interview nachlesen.

Hin: Frau Wyss, aktuell prüft der Bundesrat das Postulat, dass Mindeststandards für Primärsystemanbieter eingeführt werden sollen. Wieso braucht es staatliche Vorgaben, wenn es einen freien Markt gibt, der das regulieren könnte?

Sarah Wyss: Den freien Markt gibt es im Gesundheitswesen de facto nicht, weil die Preise durch den Tarif bestimmt sind. Und es auch nicht sinnvoll ist. Denn mehr ist nicht unbedingt besser im Gesundheitswesen. Die Kosten für Primärsysteme sind auch Teil des Tarifs. Zudem beträgt die Laufzeit eines Primärsystems je nach Komplexität zehn bis fünfzehn Jahre. Hat man sich für ein System entschieden, ist man relativ abhängig davon. Mit dem Postulat wird kein staatliches System gefordert, sondern festgelegte Mindeststandards für die Systemanbieter.Es gibt zwei Hauptgründe, wieso es die Standards jetzt braucht: Einerseits kommt es im Gesundheitswesen immer wieder zu Fehlern und Qualitätseinbussen. Und man weiss von Studien her, dass eine Ursache dafür in der medizinischen Dokumentation liegt. Mit den Mindeststandards sollen Qualitätssicherung, aber auch die Interoperabilität zwischen den Systemen sichergestellt werden, unabhängig davon, wer welches System nutzt. Andererseits haben wir jetzt auch das Programm DigiSanté, das mit den Mindeststandards zu Effizienzsteigerungen führen und die Patientensicherheit verbessern kann.

Hin: Sie erwähnen DigiSanté als Treiber für den Vorstoss. Der Zeitpunkt des Postulats ist also ganz bewusst gewählt?

Sarah Wyss: Ja, DigiSanté ist ein Teil davon. Was nämlich in DigiSanté bisher komplett fehlt, sind Systemanbieter. Ein staatliches Primärsystem macht aus meiner Sicht aber wenig Sinn. Je nach Tätigkeitsbereich und Betriebsgrösse sind unterschiedliche Systeme sinnvoll und es sind viele gute Systeme schon da. Aber ich möchte, dass wir im Zusammenhang mit DigiSanté die Mindeststandards festlegen. Es soll verschiedene Anbieter von Systemen geben. Aber nicht so, dass es nachher wegen der fehlenden Qualität und Interoperabilität zu Folgekosten führt, die dann die Allgemeinheit tragen muss. Und am Ende leidet der Patient darunter.

Hin: Angenommen, die Mindeststandards werden vom Bund festgelegt. Vermutlich müssten sich einige Praxen und Spitäler dann in naher Zukunft ein neues System anschaffen. Würde dies der Staat bezahlen oder die Leistungserbringer selber?

Sarah Wyss: Die Systemkosten sind Teil der Infrastruktur und deshalb im Tarif enthalten. Das ist wie, wenn ich als Gärtner eine Schaufel kaufe. Dann sage ich auch nicht den Kunden, ihr müsst mir die Schaufel noch bezahlen, sondern das ist Teil der Abgeltung. An dieser Stelle könnte man über die Höhe des Tarifs streiten. Aber grundsätzlich gibt es durch Mindeststandards von Primärsystemen keine mittelfristigen Zusatzbelastungen. System-Updates gehören zum normalen Zyklus. Ich könnte mir aber vorstellen, dass man vielleicht tatsächlich ein Impulsprogramm macht, wo man sagt: Wenn man das neue System vor Ablauf des bisherigen einführt, erhält man ein «Goodie», um zu verhindern, dass eine zu lange Übergangsfrist eingeführt werden muss. Klar ist, wenn es zusätzliches Geld braucht, dann sind die Kantone in der Pflicht.