Das Gesundheitssystem krankt

Mit grossem Interesse habe ich den heutigen Leitartikel  in der BaZ (von Joël Hoffmann) zu der angeblichen Passivität betreffend den Krankenkassenprämien gelesen. Dies obwohl das Thema für die Bevölkerung von allergrösster Wichtigkeit ist.

Zuerst möchte ich unterscheiden zwischen den Gesundheitskosten und den Krankenkassenprämien.

Die Gesundheitskosten steigen im Kanton Basel-Stadt seit Jahren unaufhaltbar (OKP-Bereich). So sind die Bruttoleistungen von 2014 bis 2018 um 2.4% gestiegen, die Leistungen pro Versicherten nahmen durchschnittlich um 1.9% von 4‘062CHF auf 4‘385CHF zu.

Dass immer mehr Leistungen in Anspruch genommen werden, ist zu einem Teil mit der demographischen Veränderung und schlicht auch dem steigenden Wohlstand und medizinischen Fortschritt zu erklären. Aber längst nicht nur. Denn unser Gesundheitssystem ist (danke KVG-Revision 2012 – Ironie off)als riesiger Markt aufgebaut (schweizweit 83 Milliarden – grösster Wirtschaftszweig). Und darin haben (fast) alle Akteure ein Interesse an möglichst vielen Behandlungen – denn nur daran verdienen sie. Diese Privatisierung ist Gift – und schadet der optimalen Gesundheitsversorgung – und dem Portemonnaie.

Aus diesem Grund benötigen wir mehr Regulierungen. Und, ja, Herr Hoffmann hat absolut Recht, bei der Steuerung im stationären Bereich haben die Kantone Kompetenzen. Und diese nutzte Basel-Stadt bislang nicht oder viel zu wenig. Gesetzesanpassungen –  mit Regulierungsfolgen (Motion Wyss betreffend Bewilligungspflicht für Grossapparaturen; Interpellation betreffend Generika-Verpflichtung) wurden vom bürgerlichen Parlament abgelehnt.

Und auch einer Steuerung via Spitalliste verwehrte sich Lukas Engelberger (und sein Vorgänger Carlo Conti) jahrelang. Mein Anzug dazu, welcher eine bedarfsgerechte Planung forderte, wurde abgelehnt. Nun soll doch noch eine kommen. Ab 2021 soll eine gemeinsame Planung mit dem Nachbarkanton kommen. Dies aber sogar ein Jahr später als es der Staatsvertrag verlangte (Missachtung des Volkswillens?) und vorerst nur im somatischen Bereich!

Nebst den Regulierungen in diesem „Pseudomarkt“  ist aber auch eine patientenzentrierte Versorgung – eine bedarfsgerechte Versorgung mit einer guten Vor-und Nachsorge notwendig.  Gesundheitsfördernde Massnahmen und Ausgaben für Prävention lohnen sich – für die Gesundheit – für die Menschen. Aber eben nicht für die meisten Akteure, welche ihre Millionen mit kranken Menschen scheffeln.

Und nun zu den Krankenkassenprämien.

Die Nettoleistungen sind um 1.9% gestiegen, die Prämie im gleichen Zeitraum um 3.6%. Alleine vom Jahr 2018 aufs 2019 ist die Standardprämie für Versicherte um 1.8% gestiegen. Wie kann das sein? Müssten nicht Prämienwachstum und Kostenwachstum im Einklang stehen?

Nein, nicht zwingend. Denn erstens wird der stationäre Teil (anders als der ambulante Teil) nur zu 44% via Prämien bezahlt (den anderen Teil übernimmt der Kanton – sowie der Selbstbehalt), andererseits ist das Prämienfestsetzungsverfahren auch eine „Blackbox“ für Aussenstehende. So müssen Krankenkassen Reserven bilden –  je nach Erwartungen der Zunahme an Versicherten. Bei Dutzenden Krankenkassen ist dies eine beträchtliche Summe. Dass die Krankenkassenprämien 2019  nicht noch stärker stiegen, ist alleine dem Abbau der Reserve bei den Krankenkassen geschuldet.  Wenn wir eine öffentliche Krankenkasse (wohlgemerkt im obligatorischen Bereich) hätten, dann gäbe es diese unnötigen Reservebildungen nicht. Das war ein SP-Vorschlag (2013) – leider ohne Volksmehrheit.

Mit den Bemühungen, Behandlungen vom ambulanten in den stationären Bereich zu verschieben, kann die Prämie ebenfalls beeinflusst werden. Es ist dafür aber längerfristig unverzichtbar, dass wir das duale Finanzierungssystem (ambulant – stationär ) ablösen – diese Fehlanreize (ob ambulant oder stationär behandelt wird, muss rein medizinisch und nicht finanziell beurteilt werden) müssen weg. Aber die Hoheit muss bei den Kantonen bleiben. Die Kompetenz der Krankenversicherer hat sich auf die Erhebung von Prämien und die korrekte Abgeltung von Leistungen zu konzentrieren (inkl. effizienter Rechnungskontrolle).

Das System der Finanzierung über Kopfprämien ist aber ganz grundsätzlich nicht sozial (zumal hier noch europaweit rekordhoche Kostenbeteiligungen hinzu kommen). Die Prämienverbilligungen leisten hier ein Stück Ausgleich. Die nationale Prämienentlastungsinitiative der SP ist zentral, sie kam im Januar 2020 zustande. Unter SP-Regierungsrat Christoph Brutschin sind die Verbilligungen im Kanton Basel-Stadt deutlich höher als in anderen Kantonen.

Ja, lieber Joël Hoffmann, manchmal müssen wir auf den Bund warten – so wie Sie es in Ihrem Artikel geschrieben haben. Aber auch kantonal können wir einiges tun. Aber leider fehlen mir dazu so oft die Mehrheiten im Parlament…

Erschienen als Replik in der BaZ am 7.2.2020