Festrede der Promotionsfeier Medizinische Fakultät

(Gehalten am 23. Mai 2025, in Basel – es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrte Frau Dekanin, liebe Promovierende, liebe Gäste, sehr geehrte Damen und Herren,
Es ist mir eine große Freude und Ehre, anlässlich Ihres großen Tages zu Ihnen sprechen zu dürfen. Es ist aber nicht nur Ihr großer Tag, sondern auch ein bedeutender Tag für uns als Gesellschaft. Denn das Gesundheitswesen braucht Sie – dringend.
Gerade in herausfordernden Zeiten wie diesen ist Ihre Arbeit nicht nur wissenschaftlich, sondern gesellschaftlich relevant. Sie stehen für eine Generation von Forschenden, die in einem Spannungsfeld von Fortschritt, Verantwortung und ethischen Fragen agiert. Und deshalb ist es nicht übertrieben zu sagen: Heute feiern wir nicht nur Ihre Promotion, sondern auch Ihren Beitrag an die Zukunft.

Wissenschaft braucht Mut
Die Wissenschaft hat es in Zeiten der Polarisierung nicht einfach. Verschwörungstheorien, Fake News und Wissenschaftsskepsis sind auch in der Schweiz Realität geworden. Immer mehr Menschen hinterfragen nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse – sie lehnen sie ab. Und das hat Konsequenzen: für die Gesundheit, für die Demokratie, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Umso wichtiger ist es, dass wir die Unabhängigkeit der Wissenschaft nicht nur fordern, sondern verteidigen – gegen politische Einflussnahme, wirtschaftlichen Druck und öffentliche Meinung, die sich an Emotionen statt an Evidenz orientiert. Die wissenschaftliche Unabhängigkeit ist ein hohes Gut. Sie ist keine Selbstverständlichkeit. Sie braucht Ihre Stimme.
Denn Sie sind nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Sie sind auch Vermittelnde – zwischen Wissenschaft und Gesellschaft Theorie und Praxis. Und dafür möchte ich mich bei Ihnen bedanken.

Forschung ist kein Luxus
In einer Zeit, in der Sparprogramme dominieren und kurzfristige finanzielle Überlegungen immer häufiger die politischen Agenden prägen, gerät die Forschung zunehmend unter Druck. Forschungsförderung steht auf dem Prüfstand, wenn Budgets diskutiert werden. Dabei ist Forschung – gerade in der Medizin – keine Spielerei. Sie ist notwendig, lebensrettend, zukunftsweisend.
Forschung als das „Gold der Schweiz“ zu betrachten, ist leider kein Konsens mehr – auch wenn es erfreulicherweise noch mehrheitsfähig ist. Damit aber Forschung nicht auf kurzfristige Verwertbarkeit reduziert wird, sondern im Dienst der Menschen und der Gesellschaft bleibt, braucht sie starke öffentliche Unterstützung. Sie braucht Menschen wie Sie, die sich für langfristige Erkenntnisse einsetzen – nicht nur für kurzfristige Publikationen.
Sie sind nicht nur Forscherinnen und Forscher: Sie sind Vermittelnde zwischen Evidenz und Anwendung. Und dafür möchte ich mich bei Ihnen bedanken.

Technologie verändert alles – auch die Medizin
Die technologische Entwicklung schreitet rasant voran. Ob künstliche Intelligenz, Robotik, Big Data oder individualisierte Medizin – das Tempo, mit dem sich unsere Welt verändert, ist atemberaubend. Und manchmal beängstigend.
In der Medizin eröffnet Technologie neue Möglichkeiten: Früherkennung, präzisere Diagnostik, personalisierte Therapieansätze. Aber gleichzeitig bringt sie auch neue ethische, rechtliche und soziale Fragen mit sich. Was darf Technik entscheiden? Was soll der Mensch entscheiden? Gibt es Grenzen, was wir wissen wollen? Und wo verläuft die Grenze?
Sie sind nicht nur Technologie-Anwendende oder -Entwickelnde: Sie sind Vermittelnde, welche über Sinn, Nutzen und Grenzen reflektieren. Und dafür möchte ich mich bei Ihnen bedanken.

Medizin ist kein Markt wie jeder andere
Das Gesundheitswesen ist längst kein reiner Service public mehr. Der Gesundheitssektor ist mit 90 Milliarden der grösste Wirtschaftszweig in der Schweiz. Und es bedeutet Zielkonflikte. Zwischen Ökonomie und Ethik. Zwischen Kostendruck und Versorgungssicherheit. Zwischen Effizienz und Menschlichkeit.
Für mich – als Gesundheits- und Finanzpolitikerin – ist das ein ständiger Balanceakt. Für Sie – als Leistungserbringende – ist es wohl oft auch ein Spagat. Das ist nicht einfach. Und es verlangt viel: Fachwissen, Urteilsvermögen und Haltung. Denn Sie bewegen sich in einem System, das von Anreizen – auch von Fehlanreizen – geprägt ist.
Sie sind nicht nur Ärztinnen und Ärzte: Sie sind Vermittelnde im Spannungsfeld von Gesundheitsversorgung und Gesundheitswirtschaft. Und dafür möchte ich mich bei Ihnen bedanken.

Und schlussendlich: Wir sind alle – irgendwann – Patient:innen
Das ist die vielleicht wichtigste Erkenntnis. Forschung, Technologie, Versorgung – alles dreht sich letztlich um Menschen. Um ihre Gesundheit, ihre Würde, ihre Lebensqualität.
Ihre Dissertationsthemen zeigen das sehr konkret.
Sie arbeiten an lebensnahen, hochrelevanten Fragestellungen:
• Using Artificial Intelligence to Differentiate Causes of Dyspnea in the Emergency Department
• Klinische und radiologische Nachbeobachtung von zweiteiligen Keramikimplantaten – Eine retrospektive Studie
• Microbiological Trends, In-Hospital Outcomes, and Mortality in Infective Endocarditis – A Swiss Nationwide Cohort Study
• Einfluss anthropometrischer Messgrössen und Messmethoden auf die Dünndarmlänge beim laparoskopischen Magen-Bypass

Das sind keine abstrakten Fragen. Das sind reale Herausforderungen aus Notfallmedizin, Zahnmedizin, Innerer Medizin und Adipositaschirurgie. Und glauben Sie mir: Auch ich muss mir manchmal die moderne Technologie zu Hilfe holen, um Ihre Themen vollständig zu verstehen.
Irgendwann sind wir alle auf Ärztinnen und Ärzte, auf Forscherinnen und Forscher, auf medizinischen Fortschritt angewiesen.
Sie sind nicht nur Fachexpert:innen: Sie sind Übersetzende zwischen akademischem Wissen und menschlicher Erfahrung. Und dafür möchte ich mich bei Ihnen bedanken.

Geschätzte Promovierende,
Sie haben Großartiges geleistet. Sie haben sich durch komplexe Fragestellungen gearbeitet, sich kritischen Prüfungen gestellt und Ausdauer, Disziplin und Leidenschaft bewiesen. Heute ist der Tag, an dem Sie das feiern dürfen – mit Stolz, mit Freude und mit einem tiefen Atemzug der Erleichterung.
Ich gratuliere Ihnen von Herzen zu Ihrer Promotion. Und ich danke Ihnen: für Ihren Beitrag, für Ihre Haltung und für Ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

Abschließend möchte ich Ihnen drei Wünsche mitgeben:

  1. Behalten Sie Ihre Neugier
    Denn sie ist der Motor der Wissenschaft.
  2. Verlieren Sie nie Ihre Menschlichkeit.
    Denn sie ist das Herz der Medizin.
  3. Nutzen Sie Ihre Stimme
    Denn Wissenschaft braucht Menschen, die nicht nur forschen, sondern auch darüber sprechen

Ich wünsche Ihnen eine würdevolle Feier, gute Gespräche und viele Momente des Stolzes.

Feiern Sie sich. Sie haben es verdient.
Herzlichen Glückwunsch.