50 Jahre Frauen Stimm-und Wahlrecht in der Schweiz und im Kanton Aargau

Die SP Aargau feierte am 21. August 2021 50 Jahre Frauen Wahl-und Stimmrecht! In meiner Rede liess ich die letzten 50 Jahre historisch revue passieren und schaute auf die künftigen Herausforderungen.

Hier meine Rede (es gilt das gesprochene Wort):

Welch ein denkwürdiges Jahr. Und das nicht wegen Corona oder den schlimmen Ereignissen rund um uns herum.  Sondern denkwürdig, weil vor 50 Jahren, genauer im Jahre 1971, das Frauen Stimm-und Wahlrecht in der Schweiz eingeführt wurde.

Ich freue mich sehr, heute hier sein zu dürfen und gemeinsam mit euch den 7. Februar 1971 feiern zu dürfen. Im schönen Nachbarkanton von Basel-Stadt.

Bereits 1918 – vor mehr als 100 Jahren – wurde die erste Motion für das Stimmrecht der Frauen in sogenannten Kirchen-, Schul-, Armen- und Krankensachen – also nur Teilgebiete – im Grossen Rat des Kantons Aargau eingereicht. Die Motion fand keine Mehrheit.

1929 versuchten Gewerkschaften, Frauenverbände und die SP mittels einer Petition auf nationaler Ebene das Wahlrecht für Frauen zu erreichen. Doch das Parlament – natürlich bestehend aus Männern – wollte nicht.

Das Anliegen trat während den 1930er Jahren etwas in den Hintergrund. Nach dem zweiten Weltkrieg – in den 40er und 50er Jahren – lehnten etliche Kantone das Stimm-und Wahlrecht ab. Auf eine Motion für ein Frauenstimmrecht im Sozialbereich des Kantons Aargau trat die grossrätliche Kommission nicht einmal ein. Eine herbe Niederlage.

Als 1959 dann endlich eine nationale Vorlage für die politischen Rechte der Frau vors Volk kam, scheiterte diese. Nur ein Drittel der Männer wollten damals das Wahl-und Stimmrecht für Frauen. Eine herbe Niederlage.

Doch all unsere Vorkämpferinnen gaben nicht auf. Waadt, Genf und Neuenburg sprachen sich als einzige Kantone 1959 für die Vorlage aus und führten das Stimmrecht nach dem Scheitern auf Bundesebene nun auf kantonaler und kommunaler Ebene ein. Als Nationalrätin aus dem Kanton Basel-Stadt bin ich etwas stolz darauf, das Frauenstimmrecht 1966 als erster Deutschschweizer Kanton eingeführt zu haben.

1968 – als der Bundesrat die Menschenrechtskonvention unter Vorbehalt zu den politischen Rechten der Frauen unterzeichnen wollte, also mit Ausnahme des Frauen Stimm-und Wahlrechts, wurde wieder gekämpft. Es wurde eine Vorlage erarbeitet. Der Vorbehalt bei der Unterzeichnung der Menschenrechtskonvention war für viele – vielleicht auch ehemalige Gegner – vielleicht doch ein Argument. Das Volk – also die Männer – stimmte den politischen Rechten der Frauen zu. Und dies deutlich mit 66%. Der bekannte Art. 74 der Bundesverfassung wurde endlich ergänzt. Das Volk des Kantons Aargau, also genauer gesagt die Männer, stimmten der Vorlage ebenfalls zu – wenn auch nur sehr knapp. Die Frage um politische Rechte waren damit besiegelt – auch im Kanton Aargau.

Das Kämpfen hat sich also gelohnt. Ein erstes wichtiges und grundlegendes Etappenziel. Ein Meilenstein. Ein Meilenstein für die Demokratie. Über 100 Jahre lang wurde dafür gekämpft. An vorderster Front die Frauenverbände, die SP und die Gewerkschaften!

Damals waren Personen ab 20 Jahren – nicht wie heute 18 Jahre – wahl- und stimmberechtigt. Die Senkung des Stimmrechtsalters geschah erst 1991. Und wer weiss, vielleicht schaffen wir bald den nächsten Meilenstein in der Schweizer Demokratie und senken das Stimm-und Wahlrecht auf 16.

Die Schweiz hat lange gebraucht – ja und einige Kantone gar bis in die 90er Jahre, um die politischen Rechte der Frauen auf allen Ebenen umzusetzen. 53 Jahre länger als Deutschland brauchte die Schweiz, 27 Jahre länger als unsere Nachbarn Frankreich und auch Italien war 26 Jahre schneller.

Die Verankerung der Gleichstellung von Mann und Frau erfolgte erst 10 Jahre später, 1981. Darauf folgten weitere gesetzliche Anpassungen.

Als ich 1988 zur Welt kam, wurde beispielsweise die Gleichberechtigung in der Ehe gesetzlich verankert mit der Ausnahme des Namensrechtes und des Bürgerortes. Es folgten weitere Erfolge wie 1992 das Sexualstrafrecht oder das Namensrecht 2013, der Erwerbsersatz bei Mutterschaft 2004 oder das neuste: der mickrige Vaterschaftsurlaub von immerhin zwei Wochen.

Das Gleichstellungsgesetz trat dann 1996 in Kraft und verbietet Diskriminierungen. Auch ein Meilenstein in der Gleichstellungsgeschichte.

Ihr seht, es wurde hart gekämpft und viele Meilensteine wurden erreicht.

Der grösste Meilenstein der politischen Rechte passierte vor 50 Jahren. Und das feiern wir heute. Das würdigen wir heute.

Die Frauen sind im Nationalrat derzeit mit 42% vertreten, im Stöckli mit 26%. Das ist noch zu wenig! Doch es ist ein Fortschritt; immerhin ist der Frauenanteil von 5% respektive 2% im Ständerat im Vergleich von 1971 doch massiv gestiegen.

Wir sind aber noch lange nicht am Ende unseres Kampfes für Gleichstellung und Gleichberechtigung. Manche Meilensteine und Etappenziele haben unsere Vorkämpferinnen und auch wir erreicht.

Es ist feierlich. Und heute feiern wir – zu Recht.

Aber morgen machen wir weiter. Morgen treten wir wieder in die Fusstapfen und setzen uns für die Gleichstellung ein. Denn die Gleichstellung ist noch nicht erreicht.

Es braucht uns. Es braucht die SP, es braucht Männer und Frauen, es braucht Organisationen und Gewerkschaften, welche für die Gleichstellung kämpfen.

  • Lohngleichheit? Müsste schon lange eine Selbstverständlichkeit sein. Ist es aber nicht.
  • Elternzeit für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Müsste schon lange eine Selbstverständlichkeit sein. Ist es aber nicht
  • Sexismus und Gewalt an Frauen effektiv bekämpfen? Müsste schon lange eine Selbstverständlichkeit sein. Ist es aber nicht.
  • Eine würdige Altersvorsorge für Frauen? Müsste schon lange eine Selbstverständlichkeit sein. Ist es aber nicht.
  • Angemessene Vertretung der Frauen in Politik und Kaderpositionen? Müsste schon lange eine Selbstverständlichkeit sein. Ist es aber nicht.

Es braucht einen langen Schnauf. Es braucht viel Energie.

Aber heute feiern wir. Heute machen wir für wenige Stunden eine Pause! Tanken wieder Kraft und Energie.

Denn diese Energie brauchen wir für den politischen Kampf von morgen. In den Parlamenten, auf der Strasse, in Vereinen und Parteien, im Familien-und Freundeskreis.

  • Morgen wehren wir uns wieder gegen eine Altersreform auf dem Buckel der Frauen.
  • Morgen kämpfen wir wieder, dass Lohngleichheit mehr ist als ein Verfassungsartikel
  • Morgen kämpfen wir wieder, dass Sexismus und Gewalt nicht länger zum Alltag gehört.
  • Morgen kämpfen wir wieder für eine Elternzeit, welche die Gleichstellung auch im Beruf ermöglicht.
  • Morgen kämpfen wir wieder für mehr Frauen in Führungspositionen und in der Politik.

Und morgen – genauer gesagt in einem Monat – stimmen wir Ja zur Ehe für alle, und machen einen Schritt in Richtung Gleichberechtigung für Lesben und Schwule.

Nun bleibt mir übrig, euch allen für euren täglichen Einsatz zu danken und euch eine würdevolle Feier mit guten Momenten zu wünschen. Tankt Kraft, damit wir morgen gemeinsam für Gleichberechtigung weiterkämpfen können. Danke.