1. August-Rede: ein Winzling mitten in Europa

(erschienen in der BaZ am 31.7.2013)

Wenn ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, eine Luftaufnahme der Stadt Basel und ihrer näheren Umgebung  zeigen würde, wären Sie nicht imstande, darauf die Landesgrenzen zu zeichnen. Tatsächlich gehören die grenznahen Gemeinden in Frankreich und Deutschland genauso zur Stadt wie die basel-städtischen Quartiere und Gemeinden. Der Wirtschaftsraum ist zu einem geworden, die Tramlinien werden in Zukunft vor den Staatsgrenzen nicht mehr Halt machen. Auch die Kultur, das zeigt das soeben stattgefundene Stimmenfestival, ist grenzüberschreitend. Die unterschiedlichen politischen Gremien, das heisst ihre VertreterInnen treffen sich an gemeinsamen Anlässen und in den gemeinsamen Parlamenten, dem Oberrheinrat und dem Districtrat.

Gerade in der Region Basel frage ich mich deshalb, was unterscheidet uns von unseren Nachbarn? Was rechtfertigt, dass unsere Stadt – als letzte Europas – von Grenzen und Wachen durchschnitten ist? Wir feiern den 1. August, die Franzosen den quatorze juillet und die Deutschen den Tag der Einheit am 3. Oktober.  Doch ist dies der einzige Unterschied? Nein, wir in der Schweiz leben in einer direkten Demokratie, in der die Bevölkerung nicht nur wählen kann, sondern auch Referenden gegen das Parlament und eigene Vorschläge in Form von Initiativen einbringen kann. Da Politik die Gestaltung der Zukunft ist, kann die Bevölkerung teilnehmen an dieser Gestaltung – beinahe zu jedem Zeitpunkt. Das gibt uns eine Waffe in die Hand gegen die weltumspannende Macht der Wirtschaft. Das unterscheidet uns von den Nachbarn und darauf bin ich stolz. So können wir im November darüber darüber abstimmen, ob ein Lohnunterschied von 1:12 in den Schweizer Unternehmen nicht reicht. Ich meine ja.

Mitbestimmen kann aber längst nicht die gesamte Bevölkerung. Gerade in Basel lebt, arbeitet und wohnt fast die Hälfte der EinwohnerInnen ohne Mitbestimmungsrecht. Bei einer Stimmbeteiligung von durchschnittlich 35%, kommen wir in Basel gerade mal auf knapp 32‘000 Personen, die mitbestimmen, wie der Kanton gestaltet werden soll. Damit sich dies ändert, damit breitere Gesellschaftsschichten sich mitverantwortlich fühlen und beteiligen können, steht uns viel Arbeit bevor.

Gleichzeitig dürfen wir nicht den Massstab verlieren. Die Vogelperspektive zeigt uns über das zusammengewachsene Dreiländereck hinaus die Winzigkeit unseres Kantons – und der gesamten Schweiz. Fast droht das kleine Land, das etwa so gross ist wie Baden-Württemberg auf der Europakarte unterzugehen. Es bleibt aber nicht unbemerkt. Negative Schlagzeilen über die Steuerhinterziehungsoase Schweiz und positive Schlagzeilen über den FCB oder Roger Federer sorgen international für Aufmerksamkeit. Das Luftbild zeigt uns einfach, dass wir stärker in Europa eingebunden sind, als wir das wahrhaben wollen.

Ich wünsche uns allen, Baslerinnen und Baslern, Nachbarinnen und Nachbarn, Ausländerinnen und Ausländern, Schweizerinnen und Schweizern einen schönen 1. August!

Bild: Wladyslaw Sojka